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Unsere Begegnung mit „Jeanne“

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Gewitterstimmung am Tag vor dem Hochwasser

Es ist die Nacht vom 13. auf den 14. September 2004: Wie immer schlafen wir mit dem fröhlichen Konzert der unermüdlichen Frösche und Grillen auf unserem Campingplatz beim 4x4 Guadeloupe-Klub am Goyave-Fluss bei Prise d’Eau ein. Gegen Mitternacht werden wir von fernem Grollen eines Unwetters geweckt, das immer näher kommt und immer stärker wird. Blitze zucken und erhellen die Nacht um uns, draussen prasselt der Tropenregen unaufhörlich auf unser Autodach, als der Sturm donnernd weiter zieht. Irgendwann schlafen wir mit dem monotonen Geräusch unseres 12-Volt-Ventilators und dem gleichmässigen Rauschen des Regens wieder ein.

 

 

 

Um 3 Uhr morgens erwacht Emil, weil das Geräusch des Wassers draussen intensiver und irgendwie anders geworden ist. „Ich schaue mal nach, wie hoch der Fluss ist“ höre ich ihn sagen. Es dauert nur wenige Sekunden, bis er entsetzt ausruft: „Du musst sofort aufstehen, so etwas habe ich noch nie gesehen“. Unser idyllischer  Goyave-Fluss ist innert zwei Stunden zu einem reissenden Ungeheuer geworden. Es ist unheimlich. Ich bin wie gelähmt, als ich im fahlen Licht der Platzlampe die brodelnde, braune Masse sehe, die sich in einem breiten Band den Weg durch alles bahnt, was ihr im Wege steht – und das nur wenige Meter von unserem Schlafplatz entfernt. Unterdessen ist Emil zum Eingangstor gerannt, um den Fluchtweg zu erkunden. „Zu spät“, ruft er aus.  „Das Wasser kommt bereits durch das Tor herein. Nicht einmal zu Fuss schaffen wir es“. 
Das normale Bild: Friedlicher Goyave-Fluss in Prise d’Eau

Unser idyllischer Campingplatz beim Guadeloupe 4x4 Klub in Prise d’Eau
Halb betäubt vor Angst stellen wir fest, dass wir auf allen Seiten vom reissenden Wasser eingeschlossen sind, das sogar den abgestellten Tankwagenanhänger, der nur wenige Meter von uns entfernt stand und der zum Benetzen der Rennpiste eingesetzt wurde, einfach mit sich riss. Wir haben kein Telefon, können niemanden um Hilfe rufen, sondern müssen tatenlos zusehen und abwarten, wie sich die Lage entwickeln wird. Wenn das Wasser noch mehr ansteigt, kriegen wir definitiv nasse Füsse. Die Zeit schleicht langsam dahin, während wir dem Morgengrauen entgegen fiebern. Wie hypnotisiert starren wir auf die mörderischen Wassermassen, die sich grollend an uns vorbei drängen und riesige Steine mit sich schieben und versuchen krampfhaft herauszufinden, ob der Wasserstand am Steigen ist oder nicht. Nach einer Stunde des Wartens, die uns wie eine Ewigkeit erscheint, zeichnet sich am Eingangstor endlich ein erster Hoffnungsschimmer ab – die Wasserhöhe senkt sich langsam. Und rund eine Stunde später ist die Zufahrtspiste, wenn auch total ausgeschwemmt und mit Schwemmgut übersät, mit Allrad wieder passierbar. Wir sind gerettet! Als erstes brauchen wir mal einen kräftigen Schluck aus unserer Rumflasche!

 

Eigentlich kam dieser tropische Sturm, der innert zwei Stunden 300 mm Wasser abregnete, ohne jegliche Vorwarnung.  Noch 12 Stunden zuvor deutete auf der zuverlässigen Wetterkarte des amerikanischen Hurrikan Centers  nicht das kleinste Anzeichen auf deren Existenz hin. Er hat sich sozusagen vor der Haustüre geformt und bekam erst, nachdem er Guadeloupe erreichte und auf Puerto Rico zusteuerte, den Namen „Jeanne“. Nach Puerto Rico verstärkte er sich bereits zum Hurrikan, als er auf die Bahamas zusteuerte. Zwei Wochen später verursachte er in Haiti über 2'000 Todesopfer, ebenfalls durch die enormen Wassermassen ausgelöst, bevor er als vierter Hurrikan der Saison 2004 Florida heimsuchte.
Am Morgen, als sich das Wasser zurückzog, lagen alle Elefantenohren-Blätter flach
 


Geknickte Bambusstämme, verursacht durch das Hochwasser. Der Tankwagenanhänger dahinter ist verschwunden

 

Das ganze Ausmass der katastrophalen Überschwemmungen, deren Folgen und welch grosses Glück wir hatten, wurde uns nochmals voll bewusst, als wir am Abend im Fernsehen die Verwüstungsbilder von Pointe-Noire und Bouillante an der Westküste von Guadeloupe sahen: Demolierte Wohnungen, weggetragene und zertrümmerte Autos, den verwüsteten Supermarkt „Grand Marché“, kaputte und von Geröll und Felsblöcken blockierte Strassen. Von noch grösserem Glück können wir reden, dass wir während der zwei Hurrikansaisons, die wir in der Karibik verbrachten, von einem richtigen Hurrikan verschont geblieben sind. Reiner Zufall: Denn hätten wir eine preisgünstige Schiffahrtsofferte von Guadeloupe nach Jamaika gefunden, dann wären wir genau zu jenem Zeitpunkt dort gewesen, als Hurrikan „Ivan der Schreckliche“ dort sein Unwesen trieb.