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Viel Vergnügen mit einigen Reiseeindrücken aus Timor-Leste - Teil 1: Oecussi (Exklave)

Teil 2: Hauptland mit Dili

 
 
Oecussi-Karte
 
 
 
Timor-Leste-Karte
 
 
 
Karte von Südostasien
 
 
 
 
 
 
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01   15. Mai 2007: Gerade sind wir
beim Grenzübergang von Napan-Oesilo
in Oecussi eingereist – einer kleinen
Enklave von Timor-Leste, umgeben
von Indonesien. Glücklich fügt Emil
den Timor-Leste Kleber beim
Länderband unseres LandCruisers an.
Es ist unser 156. Land
02   Nach der Grenze in den Bergen
fahren wir ins Tal hinunter. Die Strasse
ist mit Laub bedeckt und erinnert uns
an den europäischen Herbst
03   Die aufgehängten Riesenfächer
aus Palmblättern geben der einfache
Behausung neben der Strasse ein
spezielles Aussehen. Sie werden
oft auch als Türen (!) eingesetzt
 
Timor-Leste – "die östliche Grenze Asiens" "Exklave von OECUSSI" (Teil 1)


Schon seit vielen Wochen verfolgen wir im Internet aufmerksam die Nachrichten, Medienberichte und einige interessante, informative Blogs von Expats, die in Timor-Leste’s „Metropole“ Dili leben. Seit seiner Geburt am 20. Mai 2002 wird dieses junge Land von schweren Unruhen heimgesucht, nachdem es schon 1999 durch timoresisch-indonesische Elemente fast dem Erdboden gleichgemacht wurde. Der damalige Terror hat sich zwar inzwischen etwas geglättet, aber von einer gesicherten Lage wagt noch niemand zu träumen. Es gab deshalb Momente, wo wir uns das Ziel Timor-Leste wegen der immer noch stattfindenden, täglichen Ausschreitungen in der Hauptstadt Dili komplett aus dem Kopf schlugen. Wer garantiert uns, dass das wahllose Zertrümmern von Autoscheiben nicht auch uns betreffen kann, oder wir nicht plötzlich in einen Streit zwischen sich rivalisierenden Banden geraten, die sich mit fatalen Metallpfeilen bekämpfen? Doch dazwischen, wenn sich die Lage mal wieder kurz beruhigt, flammt wieder neue Hoffnung auf, dass wir es eventuell doch noch wagen könnten.
 
 
 
 
 
 
 
 
04   Es gibt keine Autos, keine
Motorräder, keine Fahrräder –
kaum ein öffentliches Verkehrsmittel.
Menschen jeglichen Alters laufen für
viele Kilometer mit ihrer Ware auf
dem Rücken oder auf dem Kopf
05   Reisbauern bestellen ihre
Felder unten in der Ebene
06   Zerklüftete Berge und leuchtend
grüne Palmen sind ein häufiger
Anblick in Oecussi
 
 
Und als wir dann in Kupang im nachbarlichen indonesischen West Timor sozusagen vor den Toren dieses kleinen Halbinsel-Landes stehen und wir uns ohnehin irgendwo um ein neues Indonesien-Visum bemühen müssen, schliessen wir vor weiteren negativen Berichten einfach hermetisch die Ohren und beschliessen, die Gelegenheit beim Schopf zu packen. Immerhin schalten wir noch eine spezielle Vorsichtsmassnahme ein: Um die 120km einsame und langsame Küstenfahrt von der Grenze bis zur Hauptstadt Dili zu vermeiden, wählen wir als Einreise-Ort die Enklave von Oecussi, die – vom Hauptland abgetrennt – im indonesischen West Timor eingebettet ist, und als unruhesicher gilt. Allerdings zirkulieren Gerüchte, dass der motorisierte Zugang ausschliesslich UNO-, NGO- und lokalen Fahrzeugen gestattet sein soll, abgesehen davon, dass der indonesische Zollposten von Napan nicht als offizieller Grenzübergang gilt. Aber es ist immerhin eine beruhigende Möglichkeit, und versuchen werden wir es auf jeden Fall, denn von Oecussi-“Stadt” aus könnten wir dann die neue, kürzlich von Deutschland gesponserte Fähre nach Dili nehmen, die zweimal wöchentlich fährt.

 

 
 
 
 
07   Die Kirche von Oecussi-„Stadt“
trägt den Stempel der portugiesischen
Architektur
08   Über 90% der Gebäude und
der Infrastruktur wurden zerstört, als
sich die Indonesier 1999 nach
25 Jahren Besetzung zurückzogen
09   Eines der wenigen überlebenden
Gebäude aus der Zeit der
Portugiesen in Oecussi-„Stadt“
 
 
Zuversichtlich stürzen wir uns also am 15. Mai 2007 ins grosse Unbekannte – ein Tag bevor unser 6-monatiger Indonesien-Aufenthalt endgültig ausläuft. Immerhin sind wir gut ausgerüstet mit drei wertvollen Empfehlungsschreiben des freundlichen Timor-Leste Konsulates in Kupang, adressiert an die zuständigen Instanzen des isolierten Oecussi-Grenzübergangs von Napan/Oesilo: Eines ist für die Immigration bestimmt, die beiden andern für die Polizei und den Zoll von Timor-Leste. Aber zuvor gilt es erst die indonesische Ausreisehürde zu nehmen. Obwohl schon 10 Uhr vorbei ist, sitzen nur einige dort stationierte Militärs und ein Polizeibeamter herum – der Immigrationsbeamte soll irgendwann kommen, heisst es. Und er erscheint wirklich noch, prüft genau unsere Daten der Einreise und der vier Verlängerungen und gibt uns grünes Licht, das Land zu verlassen. Der Zöllner, der eigentlich unser Autopapier abstempeln müsste, erscheint gar nicht, was soll’s – also auf zur anderen Seite! Beim einfachen, verlassenen Wellblech-Verschlag auf 1’000m Höhe, der zurzeit als Zollposten von Timor-Leste dient, kommt unser bis anhin recht grosser Optimismus allerdings dann doch nochmals etwas ins Wanken und Zweifel beginnen uns zu plagen, ob wir es schaffen werden. „Wir brauchen schon nochmals Glück, denn jetzt können wir nicht mehr zurück!“, flüstert mir Emil zu, als wir aussteigen und auf die vier wartenden Grenzbeamten zu gehen, die offensichtlich ein bisschen verwirrt unsere Ankunft mitverfolgt haben und nun irritiert unsern vollbepackten LandCruiser beaugapfeln. Sofort übergeben wir ihnen die noch verschlossenen Empfehlungsschreiben.

 

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
10   Höflichkeitsbesuch bei Herrn
Antonio da Costa, traditioneller König
des Königreiches Ambeno-Oecussi,
in seinem „Palast“ am 17. Mai 2007
11   Die Portugiesen – die ersten
Europäer in Timor – sind hier in
Lifau im 16. Jahrhundert gelandet
12   Indonesiens Integrations-
Monument in Oecussi-„Stadt“
 
 
Die dicken Umschläge werden umgehend aufgerissen, und dann herrscht Stille – jeder vertieft sich in den Inhalt. Wir wissen, dass er dreisprachig verfasst ist – auf Englisch, Portugiesisch und Tetum – letztere die offizielle Landessprache, denn eine dieser Sprachen beherrscht in Timor-Leste wohl jeder. Schon bald realisieren wir, dass uns diese Empfehlung tatsächlich den Weg ins neue Land wesentlich ebnen wird, spätestens, als der Zöllner, der in Zivilkleidung erschienen ist, plötzlich beinahe entschuldigend meint, er müsse nun halt doch den Inhalt unseres LandCruisers kontrollieren – als Zöllner sei es eben seine Pflicht. Lächelnd nicken wir und öffnen unsere Autotüren. Es ist nicht viel, was seine Neugierde weckt – einzig die viereckige kleine Kartonbox mit dem digitalen Blutdruckgerät, das wir kürzlich günstig in Bali gekauft hatten. Keiner interessiert sich jedoch für die eigentlichen Autopapiere – weder für den Fahrzeugschein, noch für den internationalen Führerausweis, geschweige denn für das Carnet de Passage. Nur der uniformierte Immigrationsbeamte kennt seine Aufgabe genau: Er stempelt unsere Pässe ab und kassiert für das nötige und an der Grenze erhältliche 30-Tage-Visum je US$30 pro Person – ja, die legale Landeswährung in Timor-Leste ist der amerikanische Dollar! Bevor wir uns vom freundlichen Zoll-Team verabschieden, fügt Emil noch vor aller Augen glücklich den neuen Timor-Leste-Kleber am Länderband hinzu, das unseren LandCruiser schmückt. Nicht nur er strahlt, sondern alle Anwesenden freuen sich mit uns: Timor-Leste ist unser 156. Land.

 

 
 
 
 
13   Blumen in voller Blüte beim
portugiesischen Fort Fatusuba
hinter Oecussi-„Stadt“ .....
14   ..... ein schöner Ausblick über
den verschlafenen, kleinen Ort .....
15   ..... und die Grotte der
Jungfrau Maria, die einzig
überlebende Struktur
 
 
Oecussi ist für uns Liebe auf den ersten Blick – genau wie es vor 13 Jahren das Sultanat Oman auf der Arabischen Halbinsel war. Und als wir auf der verlöcherten Piste langsam talwärts dem Hauptort Oecussi-“Stadt” – manchmal auch Pantemakassar genannt – zusteuern, erkennen wir auch schon bald gewisse Ähnlichkeiten: Ein schroffes Gebirge, verlassene weisse Sandbuchten und ein türkis schimmerndes Meer. Einzig die fruchtbare Ebene mit den leuchtend grünen Reisfeldern und die uns zuwinkenden Menschen, die uns vor ihren einfachen Strohhütten „Boa tarde“ zurufen, passen nicht ins selbe Bild. Wir freuen uns, dass wir uns hier mit Portugiesisch wieder eher verständigen können als im nachbarlichen Indonesien in der lokalen „Bahasa-Indonesia“-Sprache, mit der wir uns nie so richtig anfreunden konnten. Auf den rund 40km bis nach Oecussi-“Stadt” begegnen wir keinem einzigen Fahrzeug, keinem Motorrad, ja nicht einmal einem Fahrrad. Es gibt praktisch keine öffentlichen Verkehrsmittel; die Menschen verschieben sich hier während Stunden mühsam zu Fuss, ob jung oder alt, ob für kurze oder lange Strecken, rauf und runter und oft beladen mit schweren Kopf- oder Rücken-Lasten. In der Hitze der Mittagssonne erreichen wir dann Oecussi-“Stadt”, ein Dorf mit einigen tausend Einwohnern, an einer geschwungenen, lieblichen Bucht zwischen zerklüfteten Bergen und dem klaren Meer gelegen.

 

 
 
 
 
 
16   Oecussi-„Stadt“ ist zwischen
zerklüfteten Bergen und einem
türkisblauen Meer eingebettet
17   “Nakroma”, die kürzlich von
Deutschland gesponserte neue Fähre,
dockt im Hafen von Oecussi. Sie
kommt zweimal wöchentlich in einer
12-13 Stunden Fahrt von Dili, der
Hauptstadt, und ist praktisch die einzige
Verbindung zum Hauptland Timor-Leste
18   Liliana geniesst einen schönen
Augenblick am Meeresufer. Oecussi
ist ein Camper’s-Paradies
 
 
Der einzige Menschenbetrieb herrscht um die neue, von Deutschland gesponserte und in Indonesien gebaute Fähre „Nakroma“, die in der Bucht ankert und am Abend wieder in die Hauptstadt Dili zurückfahren wird. Sie ist praktisch die einzige Verbindung zum Hauptland Timor-Leste. Hingegen wimmelt es von brandneuen, weissen LandCruisern der UNO und ihrer Unterorganisationen, sowie der Hilfswerke (NGO’s) wie Unicef, Caritas, Oxfam, usw. Nachdem wir in den ersten Stunden in einem neuen Land die Sicherheit für wildes Campen noch nicht so richtig einschätzen können, erkundigen wir uns vorsorglich erst einmal nach Hotelunterkünften. In den zwei einzigen Hotels ist aber kein einziges Zimmer mehr frei – das UNO-Personal und die NGO’s haben bereits alle besetzt! Gerade, als wir uns doch für ein Buschcamp entschliessen und uns um ein geeignetes Plätzchen umsehen wollen, hält ein Auto mit der Aufschrift „Caritas Australia“ neben uns. Ein freundliches Gesicht erscheint am Fenster. So lernen wir Chris kennen, der schon seit sieben Jahren hier in Oecussi für Caritas tätig ist und den Bauern beim Anpflanzen von Kaffee und anderer Bodenbearbeitung assistiert. Er wundert sich sehr über unsere Anwesenheit mit einem eigenen Auto in dieser gottverlassenen und -vergessenen Ecke der Erde. Als wir im Laufe des Gesprächs mal unser Übernachtungsproblem streifen und ihn fragen, wie es hier mit der Sicherheit stehe, sagt er ganz spontan: „Ich habe ein Ersatzzimmer, Ihr seid willkommen, bei mir zu schlafen“. Er schlägt vor, dass wir uns am Abend um 19.30 Uhr an der 'Rock Bar' treffen.

 

 
 
 
 
19   Jetzt, wo die Regenzeit zu Ende
ist, kann dieses breite Flussbett
problemlos überquert werden
20   Wo immer wir aufkreuzen, werden
wir mit Zurufen, Lächeln, Winken, ja
sogar Verbeugungen empfangen.
Die Natürlichkeit der Menschen hat
uns vom ersten Moment an begeistert
21   Auf unserer 27km Fahrt
entlang der Westküste begleiten
uns ununterbrochen
bezaubernde Landschaften
 
 
Am selben Tisch in der 'Rock Bar' – dem „Oecussi-Treffpunkt“ – sitzt an diesem Abend auch Pater Richard aus Pennsylvania/USA mit drei jungen Leuten. Er kam 1966 nach Timor, ist heute 70 Jahre alt und noch sehr rüstig. Erst später erfahren wir, was für einen aussergewöhnlichen Menschen wir kennen lernen durften, was für eine entscheidende Rolle er im September 1999 nach dem Rückzug der Indonesier nach ihrer 25-jährigen Besetzung spielte. Beim darauffolgenden Massenmord an Pro-Unabhängigkeits-Führern und -Anhängern von Oecussi, durchgeführt durch pro-indonesische Sicherheitskräfte und ihren Mitläufern, gewährte er in seinem isolierten Bergort Cutet auf 1’500m Höhe, der nur durch einen engen Fusspfad schwer zugänglich ist, Tausenden von Verfolgten Unterschlupf und Essen. Es gibt auch Gerüchte, dass er es gewesen sein soll, der den verzweifelten Hilferuf um militärische Intervention in Oecussi an die Interfet – die Internationalen Kräfte im Hauptland, die am 20.9.1999 auf Ost-Timor landeten – schrieb, den ein freiwilliger, 16-jähriger, heroischer Junge namens „Lafu“ unter Lebensgefahr auf dem Landweg nach Bobonaro überbrachte. Stumme Zeugen dieses blutigen Unabhängigkeitskampfes sind immer noch die vielen nackten Häuserruinen und zerstörten elektrischen Leitungen. Über 90% der von den Indonesiern während der Okkupation erstellten Infrastruktur wurde bei deren Abzug vernichtet. Die unzähligen demolierten Gebäude, schrägen Masten und heruntgerissenen elektrischen Leitungen sprechen immer noch eine traurige, deutliche Sprache, was das Volk von Ost-Timor alles durchmachen musste.

 

 
 
 
 
 
 
22   Rollende Hügel widerspiegeln
sich im stillen Wasser eines kleinen
Sees entlang der Küste
23   Die Zäune um die einfachen Dörfer
sind aus ineinandergeflochtenen
stacheligen Palmblättern gebaut,
ohne einen Nagel zu verwenden
24   Diese Strohhütte mit den
zerklüfteten Bergen als Kulisse
bietet einen zauberhaften Anblick
 
 
Chris empfiehlt uns die abwechslungsreiche Fahrt entlang der Westküste wärmstens, die nach 27km an der indonesischen Grenze endet. Das Wetter ist so kurz nach dem Ende der Regenzeit stechend klar, als wir am nächsten Morgen los fahren. Bereits kurz nach der „Stadt“, in Lifau, schalten wir bei einem imposanten Kreuz-Monument, das am Meeresufer errichtet wurde, schon den ersten Stopp ein. Es ist der Ort, wo im 16. Jahrhundert die Portugiesen – die ersten Europäer in Timor – anlandeten und Osttimor für die nächsten 450 Jahre besetzten. Erst 1975, im Rahmen der plötzlichen Entlassung aller portugiesischen Kolonien in die Unabhängigkeit, wurde auch Osttimor von der portugiesischen Herrschaft wieder frei, war zehn Tage problematisch selbständig um gleich darauf aber von Indonesien bis zum Referendum im 1999 annektiert zu werden. Kurz nach diesem historischen Ort wird es dann aber mit jedem Kilometer einsamer und die Landschaft immer spektakulärer. Wir durchqueren ein sandiges, breites Flussbett, das jetzt in der Trockenzeit nur mit einigen kleineren Flüssen durchsetzt ist, wo wir aber vorsichtshalber trotzdem den Allrad zuschalten. Lang, lang ist es her, seit wir das letzte Mal dieses einzigartige Gefühl erleben durften, mit Natur pur komplett allein zu sein – nur die Natur und wir! Auf der einen Seite begleitet uns die zerklüftete Gebirgswelt, auf der anderen Seite das endlose Meer. Zurzeit der indonesischen Herrschaft war die Strasse noch geteert; jetzt ist sie am Verfallen und in schlechtem Zustand. Strassenunterhalt existiert in Oecussi (noch) nicht. Wenn sie zur Staubpiste wird und wir durch gelbes, hohes Gras und verstreute Schirmakazien kreuzen, wo Ziegen versuchen, ihre grünen Blätter zu erhaschen, fühlen wir uns beinahe in die Steppe Afrikas zurückversetzt. Blicken wir jedoch von den Anhöhen auf die blendend weissen Sandbuchten und das türkisfarbene Meer, tauchen Erinnerungen an unsere zweijährige Karibik-Zeit auf.

 

 
 
 
 
 
 
25 26 27
Unser Abstecher entlang der Westküste bis zum Citrana Strand ist spektakulär,
einsam, unberührt und voll von wunderbaren Überraschungen – ein vergessenes Paradies!
 
 
Ab und zu fahren wir an einem Strohhüttendorf vorbei, wo nackte Kinder hinter einem Zaun aus Palmblättern spielen und sofort angerannt kommen, sobald sie den Motorenlärm eines Autos hören. Auch die Erwachsenen zeigen eine unverdorbene Neugierde und sie begegnen uns mit einer seltenen Offenheit und Herzlichkeit. Manchmal verbeugen sie sich sogar ehrfürchtig. Sie tragen ihr hartes, entbehrungsreiches Leben mit einer solchen Würde und Selbstverständlichkeit, die uns tief berührt und fast beschämt. Um jede Kurve locken einsame, wunderschöne Ecken zum Campen, und fast bereuen wir es, dass wir uns am Abend wieder mit Chris, seiner timoresischen Frau Amie und seiner heissgeliebten Tochter Fatima zum „Sundowner“ in der 'Rock Bar' verabredet haben. Nur ungern wenden wir daher am Strand von Citrana wieder und treten den Rückweg an. Für die 27km bis zum Wendepunkt brauchten wir volle zweieinhalbe Stunden, die nicht allein dem schlechten Pistenzustand zuzuschreiben sind, sondern vor allem der zahlreichen Fotostopps. Ganz unerwartet haben wir an dieser vergessenen Ecke der Welt – wer weiss schon, wo Oecussi liegt! – noch ein kleines, bezauberndes Fleckchen Paradies für uns gefunden, was uns unendlich glücklich stimmt. Zurück in Oecussi-“Stadt” schauen wir noch schnell bei der einzigen Bäckerei vorbei, um frische Brötchen für das morgige Frühstück zu bestellen. Ohne Bestellung kein Brot! Denn die „Bäckerei“ besteht nur aus einem jungen Mädchen, das im Hinterhof ihres Hauses die zuvor angeforderten Brote bäckt, bevor es zur Schule geht, für 10 Cent das Stück. Ausser diesem „Brotladen“ gibt es noch zwei kleine Supermärkte mit einem ziemlich beschränkten Angebot. Mehr gibt es in diesem verschlafenen Ort nicht – mit Ausnahme der sechs Stunden Elektrizität von 18 Uhr bis Mitternacht!

 

 
 
 
 
 
 
 
 
28   Der Strand von Citrana
am “Ende der Welt”!
29   Sonnenuntergänge sind für
uns immer etwas Besonderes,
wie hier in Oecussi-„Stadt“
30   Jetzt, kurz nach der Regenzeit,
gibt es noch genügend Tümpel, wo
sich die Wasserbüffel suhlen können
 
 
Am nächsten Tag wollen wir auch noch die bedeutend kürzere Ostküste für uns entdecken, die bereits nach zehn Kilometern am indonesischen Schlagbaum endet. Wieder fahren wir an Dörfern mit einfachen Strohhütten vorbei, die friedlich zwischen Gebirge und Meer eingebettet sind. Es gibt viele schmale Sandpisten, die zum Strand führen, wo Fischer im Schatten eines Baumes ihre Netze flicken, während ihre Kinder fröhlich mit irgend etwas spielen, das sie am Strand finden. Nachdem wir nun so nah an Indonesien sind, kommt bei unseren Handy, gesponsert von der Telkomsel Indonesia, plötzlich ein Signal rein. Die nächste Stunde machen wir es uns auf unseren Campingstühlen in der Nähe der zurückhaltenden Fischer bequem und versenden SMS an unsere Freunde, die gespannt auf Nachricht von uns warten, ob wir es nach Timor-Leste geschafft haben. (Eine Timor-Leste SIM-Karte können wir erst in der Hauptstadt Dili kaufen). Übrigens: Wir sind nun seit über 22 Jahren ohne Cellular gereist und haben es nicht vermisst. Und jetzt, nach nur sechs Monaten, haben wir uns schon so daran gewöhnt, dass wir es nicht mehr missen möchten! Mitte Nachmittag sind wir bereits wieder in der Stadt zurück. Ob wir einverstanden sind, dem traditionellen König des Königreiches von „Ambeno-Oecussi“ einen Höflichkeitsbesuch abzustatten, fragte uns gestern Abend Richard, der australische Berater der Oecussi-Regierung. Warum nicht? Senhor Antonio da Costa empfängt uns in seinem einfachen „Palast“ – einem gepflegten traditionellen Haus mit Strohdach – in Jeans und braunem T-Shirt. Don Antonio – wie ihn Chris, der uns begleitet, anspricht – ist 40 Jahre alt, klein und schmal von Statur und sehr sympathisch. Wir stellen uns kurz vor, beantworten seine Fragen über unsere Weltreise und posieren zum Schluss zusammen für ein Foto in den nächsten "Oecussi-UNO-News", bevor wir uns, begleitet mit seinen guten Wünschen, wieder verabschieden.

 

 
 
 
 
 
 
31   Zwei Fischer reparieren ihre Netze
unter einem schattigen Baum in der Nähe
der östlichen Grenze, nur 13 km von
Oecussi-„Stadt“ entfernt
32   Gemüse- und Früchte-Verkäufer
versammeln sich unter diesem grossen
Baum am Fähren-Terminal von
Oecussi-„Stadt“
33   Die Anbieter von Mineralwasser,
Sodas und Snacks finden immer
genügend Absatz, wenn die
Fähre ausläuft
 
 
Die „Nakroma“, die neue von Deutschland gesponserte Fähre, dockt schon im Hafen, als wir in der Frühe des nächsten Morgens im Haus von Chris und seiner Familie aufstehen. Ihre auffällige Bemalung – schwarz-gold-rot – sticht schon von weitem ins Auge. „Die haben tatsächlich die Farben der deutschen Flagge in der falschen Reihenfolge dargestellt“, amüsieren wir uns. Erst später kommen wir drauf, dass es gar nicht die deutsche, sondern die timoresische ist. Sorry! Erst um 14.15 Uhr dürfen wir dann unseren LandCruiser in den Schiffsbauch fahren. Die Flut bestimmt nämlich die Zeit. Ist der Winkel der Rampe zum Ufer zu steil, so riskiert man abzusaufen oder aufgehängt zu werden. Ein Pier oder Ausgleichsvorrichtungen, wie sie in den meisten Häfen vorhanden sind, gibt es hier (noch) nicht. Nach all unseren Abenteuern auf den manchmal chaotischen indonesischen Fähren können wir es kaum glauben, wie geordnet und ruhig, ja fast europäisch, hier sich alles abspielt. Hühner und Ziegen sowie Güter aller Art finden ihren zugewiesenen Platz dem Rand des Schiffsbauches entlang. Rund um die Autos – mit unserem fünf an der Zahl – bleibt der Raum frei. Unser LandCruiser wird verzurrt (war in Indonesien nur zweimal in der stürmischen Suwa-See der Fall), und zusätzlich sogar noch mit Pflöcken unter den Rädern gesichert (war in Indonesien nie der Fall). Neu ist auch, dass nach dem Auslaufen der Zugang zum Laderaum hermetisch verschlossen wird. (In Indonesien hat man immer Zugang zum Auto, wenn es einem gelingt, sich einen Weg durch die aufgestapelten Güter und die Massen von Menschen, die mit ihrem Hab und Gut jeden freien Platz einnehmen, zu bahnen).

 

 
 
 
34   Bereit, um auf die Fähre
nach Dili geladen zu werden
35   Ein süsses kleines Mädchen wartet
auf die Abfahrt der Fähre nach Dili.
Sie hat eine Lebenserwartung von
54 Jahren (Männer 52)
36   Es fehlt nie an neuen Ideen:
Diese Buben lassen sich von der
Ankerleine der Fähre hoch heben,
wenn die Wellen ans Ufer prallen
 
 
Die Zurückbleibenden winken, als die schmucke „Nakroma“ um 17.15 Uhr den Anker lichtet und langsam dem Sonnenuntergang entgegen tuckert. Eigentlich könnte sie Dili in sieben Stunden erreichen, aber weil die Sicherheitslage dort während der Nacht so prekär ist, dehnt sie die Fahrt bis zum Morgengrauen aus. Als sich die Küste von Oecussi immer weiter von uns entfernt, sind wir richtig traurig gestimmt. Als wollte man uns den Abschied nicht ganz so schwer machen, tauchen neben uns plötzlich Delphine auf, erst nur zwei, dann immer mehr, die uns mit ihrem fröhlichen Spiel beglücken. Gleichzeitig verfärbt sich der Himmel glutrot, als die Sonne untergeht. Der Moment ist so gefühlsvoll und so wunderbar, das er in Worten kaum auszudrücken ist. Oecussi hat sich in nur vier Tagen so tief in unsere Herzen eingeschlichen, dass es in der Erinnerung immer einen bevorzugten Platz beibehalten wird. Als dann die Dunkelheit alles um uns herum verschlingt und die Kühle der Nacht hereinbricht, legen wir uns mit einer dünnen Matte und einem kleinen Kissen in der 1. Klasse am Boden aufs Ohr und schaukeln unruhig der Hauptstadt Dili entgegen.

 

 
 
 
 
 
37   Emil ist bereit, bei Flut auf die
Fähre zu fahren. Bei Ebbe ist es
hier in Oecussi mangels eines
Piers nicht möglich. Der
Winkel der Rampe ist zu steil
38   Die Abfahrt der “Nakroma”
nach Dili ist für die Bevölkerung
von Oecussi immer ein
wichtiger Moment
39   Wir nehmen Abschied vom
traumhaften Oecussi mit seinen
natürlichen Menschen und bezaubernden
Landschaften – einem sehr abgeschiedenen
Ort auf einer abgeschiedenen Insel

Fortsetzung im Bildbericht 2:  Hauptland mit Dili

Zeitungsartikel über uns in Timor-Leste:
Artikel: "Naran Hoaktividade", Suara Timor Lorosae - 31. Mai 2007
Artikel: "Prejensa Turista Suica iha TL",   Timor-Post - 31. Mai 2007
Internet Blog: "Mad Swiss - Part 2", Xanana Republic Gazette - 31. Mai 2007