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Bilder unserer Jemen-Reise - mit unserem Auto vom 16. Mai - 15. Juni 1996
(Anlässlich unserer Umrundung der arabischen Halbinsel vom Oman nach Saudi Arabien)
 
Die folgenden ohne unser Fahrzeug im Februar 2011:
1. Teil: Sokotra-Reise im Jemen (Osten) Hadibo - Dihamri - Arher Beach
2. Teil: Sokotra-Reise im Jemen (Süden) Homhil - Aomak Beach - Wadi Daerhu - Dicksam Plateau
3. Teil: Sokotra-Reise im Jemen (Westen) Qalansiya - Shouab Beach - Qadama Beach - Momi Plateau - Wadi Ayhaft
4. Teil: Vereinigte Arabischen Emirate Sharjah - Dubai
 
 
 
Jemen-Karte
 
 
 
 
 
Karte der arabischen Halbinsel
 
klicken Sie auf ein Bild,
um es grösser zu sehen
 
 
 
 
 

 

 

 

Durch die Rub' al Khali, die
grösste Sandwüste der Erde
auf der jemenitischen Seite
Wüstenbrunnen vor Thamud
Reifen Reparaturbude bei
Tarim, Hadramaut
 

Jemen – Zauber von 1001 Nacht  (16.5.96 – 15.6.96)

Der bärtige junge Mann mit umgehängter Kalaschnikow schaut uns misstrauisch an, als wir mit unserem abenteuerlich ausgerüsteten Toyota LandCruiser seinen Kontrollposten am Rande der Rub al Khali-Wüste erreichen. Durch ein Labyrinth von Sandpisten von Oman herkommend, ist es für uns der Einstieg ins Hadramaut-Tal, von der einsamen Wüste die Rückkehr in die Zivilisation. Mit seinen zwei gesattelten Kamelen ist er dafür zuständig, dass kein Unbefugter sein schönes Land betritt. Er nimmt seine Mission sehr ernst und kontrolliert unsere Ausweispapiere sorgfältig. Nach wenigen Minuten gibt er uns dann bereits den Weg ins Land der sagenumwobenen Herrscher frei.

Zwischen dem weissen Wüstensand und dem ausgedorrten Wadi taucht die erste Moschee auf – wir nähern uns dem kleinen Ort Qasam, bestehend aus einfachen Lehmhäusern, deren Braun mit demjenigen der kahlen Berge verschmilzt. Kunstvolle, bunte Eingangstore schmücken die schlichten Behausungen, wo sich in den abgeschlossenen Innenhöfen hinter hohen Mauern Szenen wie im Mittelalter abspielen. Auf dem Land bewässern Bauern mit einem ausgeklügelten Wasser-Verteilungssystem ihre üppig grünen Felder. Das Rad der Zeit scheint hier stillgestanden zu sein.

 

 

 

Biblische Zeiten zwischen Thamud und Tarim
 
 
Auf staubiger Piste dringen wir weiter ins Herz dieses faszinierenden Tals. Weisse, runde Kuppen von Marabuts – Gräber heiliger Männer – leuchten zwischen den langgezogenen Dorfkulissen am Fusse senkrecht aufsteigender Gebirgswände. Am öden Wegrand stehen glutrot brennende Kalkstein-Öfen, angefeuert mit Kamelmist und alten Autoreifen, eine schwarze Rauchfahne himmelwärts stossend. Sie brennen den Kalk, der nach alter Tradition für die Verzierung der Häuserfassaden verwendet wird und der grossartigen jemenitischen Architektur ihr einmaliges Aussehen verleiht. Das Herstellen des Kalkpulvers bei der mörderischen Hitze ist kein Zuckerlecken. Der Kalkstein der umliegenden Berge muss bis zu 14 Stunden bei über 1000 Grad in der Glut schmoren und dann genau so lange wieder abkühlen. Der dadurch weich gewordene Stein wird dann anschliessend in harter Arbeit zu Kalkpulver zerschlagen.

 

 

 

Rub’-al-Khali Wüste zwischen
Oman und Jemen
Al-Muhajir-Grab vor
an Sayun, Hadramaut
Sultanspalast in Sayun, Hadramaut Tal
 
 
Der erste grössere Ort Sayun wird vom eindrücklichen Sultanspalast und von der türkis glänzenden Kuppel des Habschi-Grabes beherrscht. Wir brauchen dringend jemenitische Rials und schauen uns auf dem kleinen Hauptplatz um. Eine lebendige, orientalische Szene umgibt uns schon in den ersten Minuten: Fasziniert beobachten wir das Feilschen der bärtigen Männer. Seit Jahrhunderten liegt den arabischen Stämmen der Handel im Blut. Ein Menschenauflauf mit besonders angeregten Stimmen weckt unsere Neugierde. Wir trauen unseren Augen nicht, als wir einen alten Geldwechsler auf einer altertümlichen Schubkarre inmitten aufgestapelter Notenbündeln sitzen sehen. Zuerst sind wir eher misstrauisch, doch dann wagen wir es doch und wechseln problemlos einige Dollars In einem kleinen jemenitischen Restaurant mit drei langen Sitzbankreihen verköstigen wir uns anschliessend mit frischgebackenem, warmen Fladenbrot, Erbsenmus und Leber, wofür wir inklusive fünf Sodas knappe zwei Euros bezahlen. Hier macht das Auswärtsessen wieder richtig Spass!

 

 

 

Moschee in der Wüste / Hadramaut Tal
Shibam - ‘Manhattan in der Wüste’,
Hadramaut Tal
Shibam - ‘Manhattan in der Wüste’,
Hadramaut Tal
 
 
Bereits vor Sonnenaufgang frühstücken wir am nächsten Morgen im ausgetrockneten Wadi mit Blick auf das legendäre Shibam, dem ‘Manhattan in der Wüste’ und UNESCO Weltkulturerbe, wo wir nachts campiert haben. Hier macht es sich besonders bemerkbar, dass die Architekten des Altertums in die Höhe strebten, um sich vor möglichen Angreifern zu schützen. Die Trutzburgen aus Lehm wurden sechs- bis achtstöckig gebaut und fügen sich ideal in die Landschaft ein. Sie sind sehr eng aneinandergereiht, und die Stadt gleicht einer befestigten Insel in der Wüste. Ab und zu huscht eine tief verschleierte Frau an uns vorbei, Ziegen stöbern im vielen Unrat, als wir zu noch früher Morgenstunde durch die schmalen Gassen ziehen, wo früher Kamel-Karawanen rasteten. Aus kleinen, filigrangeschnitzten Holzfenstern beobachten uns neugierige Kinderaugen. Bei einem bereits geöffneten Touristenladen werden alte, kostbar geschnitzte Türen zum Kauf angeboten. Vor einigen Hauseingängen sind mit dürren Palmblättern und bunten Stoffresten bedeckte Unterstände für die Tiere errichtet worden. Beim Verlassen dieser historischen Wüstenstadt können wir uns allerdings des Eindrucks nicht erwehren, dass heute nicht mehr allzu viele Menschen in diesen immer mehr abbröckelnden ‘Wolkenkratzern der Wüste’ leben.

 

 

 

Shibam - ‘Manhattan in der Wüste’,
Hadramaut Tal
‘Wolkenkratzer-Stadt’ von Shibam,
Hadramaut Tal
Jemenitische Kinder in Sana’a
 
 
Als wir das enge Wadi Al Ayn, und damit das wunderschöne Hadramaut-Tal mit den steil erodierten Gebirgswänden verlassen, lassen wir eine zauberhafte Landschaft mit Bilderbuch-Dörfern hinter uns. Als besondere Zugabe begegnen uns zum Abschluss noch die mittelalterlich anmutenden, verschleierten Frauen in ihren langen, schwarzen Gewändern und hohen, spitzen Strohhüten, die auf altertümlichen Ochsenkarren auf dem Weg zu ihren verstreuten Weizenfeldern sind. Ihre Aufmachung ist charakteristisch für diese Region. Dann nähern wir uns dem tropischen Klima der Küstenregion, und tauchen gleich in eine andersartige, faszinierende Welt ein.

Pittoresk ist der Anblick der von den einstigen Kriegswirren zwischen Nord- und Südjemen heimgesuchten Hafenstadt Mukhalla im Golf von Aden. Sie liegt am Fusse der herben Wüstenberge und an einer halbmondförmig geschwungenen Bucht mit weissem Sandstrand. Die Mischung jemenitischer, indischer und asiatischer Kultur muss ihr zu Glanzzeiten ein zauberhaftes Aussehen verliehen haben. Heute bröckeln die damaligen Kunstwerke zunehmend ab, und beim näheren Betrachten sind Vernachlässigung und Unrat leider nicht mehr zu übersehen. Am nächsten Tag sind wir auf dem Weg südwestwärts. Ein Küstenabschnitt mit vielen kleinen Buchten in allen Blau- und Grünschattierungen des Meeres auf der einen und pechschwarzes Vulkangestein mit weissen Sandverwehungen auf der andern Seite begleiten uns bis Bir Ali. Es folgen perfekt geformte Vulkankegel mit breiten erstarrten Lavaflüssen bis zum Meer, weite Sanddünenfelder und einige verrostete Panzer als Zeugen des vor zwei Jahren ausgefochtenen blutigen Kriegs. Ab Ar Rawdah wird die Gegend immer bergiger und wilder, es ist ein Gebiet von schroffer Schönheit, das uns völlig gefangen hält. Die heisse und feuchte Luft ist zum Schneiden, als wir unseren Nachtplatz im steinigen, schwarzen Vulkangebiet suchen. Zu allem Elend machen uns auch noch Horden stechfreudiger Mücken das Leben schwer. Gottlob erfahren wir erst später von einer weiteren Unannehmlichkeit dieses Gebietes – von noch hier und dort vergessenen Minen! Es gibt Schnellnudeln und Käse zur späten Hauptmahlzeit des Tages. Dann flüchten wir ins stickige Auto und schlagen uns die uns fast erdrückende Nacht um die Ohren.

 

 

 

Frauen in der schwarzen Abaya und
mit dem Nakhl (Strohhut), auf dem
Weg zu den Feldern / Hadramaut Tal
Wadi Al-Ayn, Hadramaut Tal
Wadi Al-Ayn, Hadramaut Tal
 
 
Unausgeruht stehen wir am nächsten Morgen auf und studieren unseren Reiseführer. Wir haben keine Lust mehr, jetzt ins höllische Tropenklima der Region Aden weiterzufahren. Gibt es eine Alternativ-Route? Wir lesen von einer neuen Strasse, die noch auf keiner Karte vermerkt ist. Sie beginnt nach dem Ort Mukayras mit einem spektakulären Haarnadel-Aufstieg bis auf 2000m Höhe, ist asphaltiert und bestens ausgebaut. Der Weitblick von oben auf die von kleinen Bergrücken durchbrochene ausgedorrte Ebene ist immens. Endlich können wir uns von den fast unerträglich gewordenen Hitzestrapazen einigermassen erholen. Irgendwann auf der Weiterfahrt nach Al Bayda verlassen wir dann das frühere Südjemen. Sofort fasziniert uns die traditionelle Bekleidungsweise der Männer der nördlichen Stämme. Vor allem der kostbare, um die Hüften geschnallte Krummdolch, die umgehängte Kalaschnikow und der breite Patronengürtel vermitteln ihnen das besonders wilde, abenteuerliche Aussehen. Wir ziehen gewisse Parallelen mit dem wilden Belutschistan in Pakistan.

Bei Dhamar zweigen wir – nochmals auf einer neuen Strasse – in südöstlicher Richtung nach Hammam Damt/ Qatabah / Marif ab und streifen erneut das frühere Südjemen. Der Unterschied zwischen dem Norden und dem Süden ist frappant: Die Bevölkerung wird nun spärlicher, alte Ziehbrunnen ersetzen die moderneren Wasserröhren des Nordens, die Dörfer werden unattraktiver und unfertiger. Und bei einem Kontrollposten müssen einheimische Taxis und Warentransporter Strassenzoll entrichten; uns lässt man in Ruhe.

 

 

 

Bucht von Mukhalla,
480 km östlich von Aden
Sanddünen bis zum Meer bei Bir Ali
Wüste und Meer bei Bir Ali
 
 
Dann nähern wir uns Taizz, der früheren, zweiten Hauptstadt Jemens (nach Zabid), am Fusse des schroffen, 3000m hohen und vegetationslosen Berges Sabir gelegen. Vom Hügel beim Hotel Marib aus geniessen wir eine herrliche Sicht auf die Altstadt mit den verwinkelten Gassen und den steilaufragenden schlanken Minaretten der grossen Moscheen. Es beginnt zu dämmern, wir halten verzweifelt nach einem sicheren Übernachtungsplatz Ausschau. Noch fühlen wir uns in diesem wilden Land nicht so sicher und sind deshalb froh, abseits der Bevölkerungsdichte auf dem Plateau eines winzigen Bergrückens ein geeignetes Buschcamp zu finden. In der erholsamen Abendfrische kriechen plötzlich von allen Seiten riesige schwarze Tausendfüssler aus blühenden Kakteen-Büschen hervor. Wir fühlen uns erst wieder wohl, als wir festes Schuhwerk angezogen haben.

Noch sind die speziellen Überraschungen an diesem Abend nicht zu Ende. Aus der Dunkelheit treten plötzlich drei junge Männer, einer davon ist mit einer Kalaschnikow bewaffnet. Das Trio setzt sich trotz der gefährlichen Tausendfüssler bei uns auf den Boden. Leider sprechen die späten Besucher nur arabisch, so dass wir uns mit ihnen nicht verständigen können. Als der Bewaffnete mit einer Taschenlampe immer wieder unseren voll beladenen Toyota an- und ableuchtet, werden wir zunehmend unruhiger. Was hat er vor? Die Typen machen überhaupt keine Anstalten aufzubrechen. Viel Zeit vergeht und es wird uns immer unheimlicher. Mit Gesten machen wir ihnen klar, dass wir müde sind und uns schlafen legen wollen. Unser Täuschungsmanöver gelingt und sie ziehen zu unserer Erleichterung bald ab. Wir zögern nicht lange und machen uns so schnell wie möglich aus dem Staub, denn wer garantiert uns, dass ihr Besuch rein freundlicher Natur war und sie später in der Nacht nicht in weniger friedlichen Mission zurückkehren werden? Die restlichen Nachtstunden verbringen wir in der Nähe einer nervig lärmigen Strasse – aber zumindest ohne Besucher.

 

 

 

Küstenlandschaft bei Bir Ali
westlich von Mukhalla
Abendstimmung in Ar-Rawdah
Gebirge in der Ar-Rawdah Gegend
 
 
Es geht nun in Richtung der aktuellen Hauptstadt: Sana’a. Die terrassierte Umgebung wird saftig grün. Es wird vor allem Kat angebaut, dessen zarte Blätter eine berauschende Wirkung vermitteln sollen und der für die Bevölkerung von grosser sozialer Bedeutung ist. Auf den Bergrücken tauchen die typisch jemenitischen ‘Adlerhorst’-Dörfer immer zahlreicher auf. Spektakulär windet sich die gut ausgebaute Strasse bis auf ungefähr 2800 m Höhe zum Sumahra Pass hoch. Oft müssen wir anhalten, um die Wasser- und Öltemperatur unseres Toyotas abkühlen zu lassen – unser Kühlerproblem verursacht uns immer grösseres Kopfzerbrechen. Bei jedem Anhalten sind wir auf dieser touristischen Strecke im Nu von bettelnden Kindern belagert, die vor allem nach Kugelschreibern schreien. Sie sind hartnäckig und werfen uns Steine nach, wenn wir ihnen nichts geben wollen.

Und dann erreichen wir die klimatisch angenehme, auf 2200 m Höhe gelegene Hauptstadt Sana'a, mit der einmalig faszinierenden Bauarchitektur, die auch ins Weltkulturerbe aufgenommen wurde. Diese Stadt soll – so die Legende – vom Sohn Noahs, gegründet worden sein. Es ist ein aufregendes Gefühl, durch die chaotische, exotische, lebendige Altstadt zu schlendern, wo sich verbeulte LandCruiser, schrottreife Taxibusse, überladene Pickups, knarrende Schubkarren, altertümliche Esels- und Ochsengespanne und eine unüberblickbare Menschenmenge in traditioneller mittelalterlicher Bekleidung den Weg durch enge Gassen bahnen. Die exotischen Düfte und das lebhafte Treiben nehmen alle Sinne gefangen. Die überschwenglich mit weissem Kalkpuder verzierten Häuserfassaden ziehen uns magisch an. Es gibt immer wieder neue faszinierende Ecken mit Blick auf Moscheentürme, kleine, grüne Gärtchen mit Palmen und Gemüse-Anpflanzungen. Früher war die verwinkelte Altstadt Wohnort der Reichen. Inzwischen sind diese aus den engen, staubigen Gassen in offenere Gegenden abgewandert. Nachgekommen ist die ärmere Menschenschicht, welche die notwendigen finanziellen Mittel für die Instandstellung der Häuser nicht mehr aufbringen kann. Die UNESCO setzt sich nun für die Erhaltung dieses geschützten Weltwunders ein. Uns wurde erzählt, dass der Brauch, jederzeit eine Waffe mit sich zu führen, keine Gültigkeit für Sana’a hat.

 

 

 

Rada
Minaret in der Altstadt
von Sana'a
Kesselverkäufer in der
Altstadt von Sana'a
 
 
Vom 5. Stock des Golden Daar Hotels und vom 8. Stock des Old Sana'a Palace Hotels geniessen wir all die verschwenderische Häuserpracht von oben. Doch wenn der Blick den nackten Boden streift, wird man auch mit der unschönen Seite dieses Landes konfrontiert: Müll türmt sich überall, obwohl eine Art Abfallbeseitigung zu existieren scheint. Die 2½-Millionen-Stadt quillt über. Wir beobachten, wie in den engen Altstadt-Gassen Frauen den Abfall zum Müllabfuhrwagen tragen, der dann von anderen Menschen nochmals nach Brauchbarem durchsucht wird. Die grosse Armut ist erschütternd. Gemäss Statistik war die durchschnittliche Lebenserwartung der Jemeniten 1990 nur 52 Jahre (2008 = 63), was uns angesichts der unhygienischen Verhältnisse des Landes nicht besonders wundert. Sicher zehrt auch der tägliche Kat-Konsum an der Gesundheit dieser hageren Menschen. Nichts läuft im Jemen ohne dieses Berauschungsmittel. Die Nachmittagszeit ist die Hauptzeit für das Katkauen; die Geschäfte spielen sich während dieser Stunden nur schleppend ab. Wir erfahren, dass täglich bis zu DM 50.- für diese Sucht ausgegeben wird – Arme so um die drei Mark und Bessergestellte um die zehn Mark. Übrigens: In der Schweiz sind kürzlich die zarten grünen Kat-Blätter auf die Drogenliste gesetzt worden, obwohl man uns hier immer wieder von dessen Harmlosigkeit überzeugen will: Kat mache das Denken freier und helfe, Müdigkeit zu überwinden. Kat helfe nicht, Probleme zu vergessen oder zu lösen, sondern darüber zu reden. Während einer Katrunde wird auch mancher Handel abgeschlossen.

Wo einst vor dem markanten Stadttor – dem 1000-Jahre alten Bab Al-Yemen –   ein kleiner Springbrunnen sprudelte, warten nun jeden Morgen Gelegenheits-Handwerker mit altertümlichen Werkzeugen auf allfällige Kundschaft. Im angrenzenden grossen Gemüsemarkt geht es gedrängt zu und her. Das Angebot ist vielfältig und ausreichend: Sorgfältig aufgestapelte Berge reifer Tomaten, Karotten, Gurken, Kartoffeln, Zucchini, Zwiebeln, Knoblauch und andere Gemüsearten – es mangelt an nichts. Ein besonderer Blickfang sind die kunstvoll aufgeschichteten Datteln, wo qualmende Räucherstäbchen die allgegenwärtigen, lästigen Fliegen fernhalten.

 

 

 

Wundervolle Architektur
in Sana’a (2.5 Mio. Einw.)
Blick auf Sana’a, Hauptstadt vom
Jemen, auf einer Höhe von 2'200 m
Traditionelle Häuserfassade
mit Erker in Sana’a
 
 
Eines Tages folgen wir einer Einladung des Jugendministers zu einer Pressekonferenz. Auf dem Weg ins Ministerium bricht in nächster Nähe plötzlich eine heftige Schiesserei aus. Dann heulen durchdringende Ambulanzsirenen auf. An den Fensterfronten erscheinen einige neugierige Köpfe. Wir erfahren, dass ein alter Stammeskonflikt mit der Regierung ausgetragen wird, der von Zeit zu Zeit immer wieder ausbricht. Die Stämme versuchen angeblich immer wieder, versprochenes Regierungsland zu beschlagnahmen. Sie sind auf einem hohen Bergrücken postiert und knallen auf Stadtgebiet. Die Gegenpartei, Polizei und Militär, ist mit einem Flak Geschütz aufgefahren. Es gelingt ihr in kurzer Zeit, wieder Ruhe und Ordnung herzustellen und die unbewilligte Landbesetzung zu vereiteln. Die Bevölkerung kümmert sich nicht allzu sehr um das ‘Scharmützel’. Sie ist sich an solche Auseinandersetzungen gewöhnt. Es wird uns später erzählt, dass der Präsidenten-Palast aus Sicherheitsgründen sogar unterirdisch gebaut wurde.

 

 

 

Traditionelle Häuserfassade
in Sana’a
Traditionelles und Modernes in Sana’a
(fremde TV-Programme sind verführerisch)
Wadi Dhahr mit Felsenpalast
15 km nördlich von Sana'a
 
 
Durch einen glücklichen Zufall sind wir heute bei einer jemenitischen Familie eingeladen – Emil zu einer Katrunde und ich zu einer traditionellen Frauenzusammenkunft. Bei den arabischen Völkern werden Männer und Frauen bei allen Anlässen strikte getrennt, wenn sie nicht zum engsten Familienkreis gehören.

Bei meiner Ankunft empfängt mich die modern gekleidete Hausherrin mit grosser Herzlichkeit. Ihre beiden kleinen Mädchen tragen festliche, königsblaue Kleidchen mit weissen Spitzen. Ich werde in einen langen, schmalen Raum geführt. Der ganze Boden ist mit einem roten Teppich belegt; bunte, komfortable Sitzkissen rundherum sind die grösste Zierde. Das einzige ‘Möbelstück’ ist ein glänzender, feinbeschlagener Messingteller, auf dem drei grosse Wasserpfeifen mit farbigen, langen Schläuchen stehen. Der Raum befindet sich im 1. Stock eines Altstadt-Gebäudes. Fünf grosse Fenster geben den Blick auf das bunte Treiben einer Soukgasse frei.

Nach und nach erscheinen die tiefverschleierten Frauen in ihren schwarzen, langen Tschadors. Beim Ablegen des alles verhüllenden Umhangs entpuppen sie sich als Prinzessinnen aus 1001-Nacht: Sie tragen bodenlange, reichverzierte, mit Goldbordüren durchbrochene Kleider aus schweren Stoffen, Stirnbänder aus Brokat, hauchdünne Seidenstrümpfe, sind dezent geschminkt und frisch parfümiert. Nach der Begrüssungszeremonie wird bei den Älteren die Wasserpfeife herumgereicht. Jeder Zug macht sich zuvor mit dem Blubbern des Wassers bemerkbar. Ununterbrochen wird auf grossen Tabletten frischer, würziger Tee serviert. Vollbeladene Teller mit auserlesenem Gebäck und Schüsseln, gefüllt mit Rosinen, Mandeln, Pistazien und Bonbons, werden verteilt. Die jungen Mädchen bleiben unter sich, tauschen ihre eigenen Geheimnisse aus und tuscheln und lachen viel dabei. Ihre Mütter unterhalten sich den ganzen Nachmittag angeregt mit dem neuesten Klatsch, ziehen dabei an den Wasserpfeifen und kauen Kat. Blatt für Blatt der jungen Sprösslinge, die sie aus selbst mitgebrachten Tüten hervorzaubern, werden in den Mund gestopft, bis sich ihre Backen stark ausdehnen. Um die Wirkung des Kats zu intensivieren, trinken sie dazwischen immer wieder kleine Schlücke Wasser oder auch Cola. Auch mir werden Katblätter gereicht; sie schmecken wie bittere Mandeln.

Einen Gast mit duftendem Räucherwerk willkommen zu heissen, ist in diesem Land uralte Sitte: So hält die Gastgeberin jedem Gast ein Tongefäss mit rauchenden Duftextrakten an Haare und Kleider, die eine anhaltende Duftnote hinterlassen. Auch das Besprühen mit zartduftendem Parfum gehört zur Tradition. Ob auch die Aufführung eines Tanzes mit zur Gastfreundschaft dieses Volkes gehört? Auf jeden Fall tanzen zwei junge Mädchen zur Musik eines Kassetten-Rekorders den traditionellen, dreiteiligen Sana'a-Tanz. Er besteht aus vielen kleinen, schwierigen Schritten und wird meistens an Ort getanzt. Für mich ist es der krönende Abschluss eines unvergesslichen Nachmittags.

 

 

 

Felsenpalast Wadi Dhahr
Mädchen von Thula
(Region Kawkaban/Shibam)
Jemenit mit
Krummdolch (Dschambia)
 
 
Stromausfälle sind in Sana'a an der Tagesordnung. So sitzen wir eines Abends unter einem glänzenden Sternenhimmel und bei Kerzenlicht auf der Dachterrasse unseres Schweizer Honorarkonsuls und erfahren einiges über dieses konservative arabische Land: In der Hauptstadt herrschen grosse Wasserprobleme. Der Grundwasserspiegel sinkt jährlich 6m und man rechnet, dass Sana’a die erste Hauptstadt der Erde werden könnte, der das Wasser ausgeht. Die Kosten für eine Entsalzungsanlage in der Hafenstadt Hodeidah kämen für 1000 Liter Wasser auf ca. US$ 10.- zu stehen. Auch von der Regierungsform ist die Rede. Die vielen Stämme in Jemen können sich mit ihrem Parlament nicht identifizieren, was bei allen Entscheidungen Kompromisslösungen zur Folge hat. Ein weiteres Thema ist das Auto-Diebstahl-Problem: einer DED-Mitarbeiterin wurden in anderthalb Jahren drei Autos gestohlen.

Wenn um vier Uhr morgens von nah und fern der Chor der Muezzin ertönt, der zum Gebet ruft, dann ist das Gefühl, in einer uns fremden Welt zu sein, besonders stark. Wir lieben es, in der lebendigen Hauptstadt stationiert zu sein und von hier aus verschiedene Tagesausflüge zu unternehmen. Unser erstes Ziel ist der prächtige, alles überragende Felsenpalast Dar Al-Hajjar im grünen, von hohen Felsen eingerahmten Wadi Dhar. Dieser mit Kalkverzierungen überschwenglich dekorierte Palast ist von vollendeter Schönheit und eines der hinreissendsten Beispiele der bezaubernden Architektur Jemens.

Beinahe ins Mittelalter zurückversetzt fühlen wir uns beim nächsten Tagesausflug in mehrere Bergdörfer. Von Thula mit den drei noch intakten Wachtürmen und der kompakten Festungsmauer vor einem imposanten Felsenmassiv fühlen wir uns besonders angezogen. Eine massive Wasserzisterne ist der Mittelpunkt des Dorflebens, wo sich Mensch und Tier ein Stelldichein geben und schwerbeladene, magere Esel durch die engen Gassen getrieben werden.

 

 

 

Blick von Kawkaban nach Shibam
Dorfkern westlich von Sana'a
Abgeerntete Terrassenfelder
in der Region von Hadscha
Terrassenfelder in der Region von
Hadscha, nordwestlich von Sana'a
 
 
In vielen Kehren führt uns eine von Deutschland im Jahre 1993 gebaute breite Asphaltstrasse weiter bergwärts. Immer wieder erleben wir im steinigen Hochland unbeschreiblich faszinierende Ausblicke auf die senkrecht abfallenden, grünen Terrassenfelder, wo jeder Zentimeter für den Anbau genutzt wird. Die kleinen Dörfer entlang des Weges verschmelzen so mit der Natur, dass wir oft zweimal hinschauen müssen, um sie in der gleichfarbigen Umgebung auszumachen. Der Ort At Tawilah thront vor zwei hohen Felsen. Besonders attraktiv sind hier die Steinarkaden des um die Mittagszeit ruhig gewordenen Souks, und besonders schrecklich sind die Berge von Müll in den engen Gassen, durch die sich gerade eine Beerdigungsprozession bahnt. Das bunte Marktleben ist vorbei, nur noch einige Kat-Händler verkaufen ihre Sträucher. In kurzer Zeit wird hier das Leben wieder für ein paar Stunden stillstehen – es ist Katzeit! Wir machen uns langsam auf den Rückweg nach Sana'a.

Mit einem bewaffnetem Leibwächter Marib, das frühere Reich der legendären Königin von Saba, zu besuchen, reizt uns nicht. Und ohne Begleitung ist es einfach zu gefährlich, denn immer wieder werden auf dieser Strecke Touristen überfallen oder gekidnappt. So begnügen wir uns mit dem Besuch des auf 1800 m Höhe gelegenen Hadscha, wo sich ein unvergessliches, atemberaubendes Bergpanorama öffnet. Auf jedem Bergrücken, Bergvorsprung, jeder Bergspitze thronen Burgen und Dörfer. Die Massierung von Wohn- und Trutzburgen sind fürs das jemenitische Hochland typisch. Immer wieder halten wir an spektakulären Aussichtspunkten an, die von Banden Jugendlicher belagert werden, die hartnäckig Geld verlangen. Früher waren viele Bergdörfer nur auf abgelegenen Eselspfaden erreichbar. Heute führt eine von den Chinesen gebaute neue Asphaltstrasse nach Hadscha.

 

 

 

Hochlanddorf in der Region von Hadscha
in der Washha Gebirgskette
Blick auf Taizz, der zweitgrössten
Stadt des Jemens (600'000 Einw.)
Gewitterstimmung über einer
Grabstätte bei Taizz
 
 
Der Südost-Monsun macht sich bereits bemerkbar, als wir nach 17 Tagen Sana'a verlassen und trotz des Höllenklimas doch noch nach Aden fahren. Je südlicher wir kommen, desto mehr tauchen wir in eine andere Welt ein: Die schroffen Berge weichen einer kargen Sandwüste mit Dünen, erste Palmen und Lehmhütten werden sichtbar, und in der Nähe Adens beginnen dann die typisch sowjetischen Wohnblöcke. Der desolate Zustand dieser Wohnsilo-Stadt ist demoralisierend. Vieles ist abbruchreif, bombardierte Häuser sind noch nicht weggeräumt oder restauriert worden, der Zerfall ist allgegenwärtig. Alles bedarf dringend einer Restauration. Doch die Lage könnte nicht idyllischer sein: Am Fusse eines erloschenen Vulkans gelegen, umgeben von kleinen Sandbuchten zwischen schwarzem Lavagestein und bizarren Felszacken – es ist einfach zauberhaft! Menschen verschiedenster Rassen haben sich hier niedergelassen. Viele leben in nicht übersehbarer Armut und haben sich ihren Schlafplatz am weichen Sandstrand, auf Kopfsteinpflaster-Gehsteigen, auf abbruchreifen Autos, auf Hausdächern oder sonst irgendwo unter freiem Himmel ausgesucht. Oder ist es vielleicht nur der unsäglichen Hitze wegen?

Als wir Aden über den Causeway verlassen, liegt die ganze Umgebung in einer dichten Dunstwolke. Wir sind froh, nach einer katastrophal stickigen Nacht im Auto der Backofenhitze dieser Stadt entfliehen zu können und starten zu unserer letzten Jemen-Etappe, in die Tihama-Ebene nach Hodeidah. Es ist afrikanisches Leben pur, das uns dort empfängt: Strohbedeckte Rundhäuser, Ziegenkrale, dunkelhäutige Menschen, unverschleierte Frauen in farbigen Gewändern, Männer ohne Krummdolche und Kalaschnikows: Mit dem traditionellen Hochland-Jemen hat es nicht mehr viel gemeinsam. Dann machen wir uns auf den Weg zur Saudi Arabien Grenze. Mit jedem Meter, wo wir uns weiter von Jemen entfernen, wissen wir mit Bestimmtheit, dass wir von diesem bezaubernden Land unser 93. mit seinen noch tief verwurzelten Traditionen noch sehr lange träumen werden.
Anmerkung: Heute – anfangs 2009 und 69 Länder später – finden wir Jemen immer noch als eines der  interessantesten Gebiete der Erde.

 

 

 

Hauptstrasse in Aden, Hauptstadt der ehemaligen Volksdemokratischen Republik Jemen, gebaut im sowjetischen Stil
Hausfront aus der englischen
Kolonialzeit in Aden
Rundhütten in der Tihamah
Küstenregion bei Zabid
 
Weitere Webseiten aus dem Jemen, wo wir im Februar 2011 die Insel Sokotra besuchten: (ohne unser Fahrzeug)
  • 1. Teil: Sokotra-Reise im Jemen (Osten) Hadibo - Dihamri - Arher Beach
  • 2. Teil: Sokotra-Reise im Jemen (Süden) Homhil - Aomak Beach - Wadi Daerhu - Dicksam Plateau
  • 3. Teil: Sokotra-Reise im Jemen (Westen) Qalansiya - Shouab Beach - Qadama Beach - Momi Plateau - Wadi Ayhaft
  • 4. Teil: Vereinigte Arabischen Emirate Sharjah - Dubai